Methoden

Heimspiel

Zuhause – also dort, wo sich Menschen am besten auskennen und vertraute Personen um sich haben – agieren Menschen selbstbewusster und erfolgreicher.

Diese Beobachtung macht sich das Konzept »Heimspiel« zunutze. Wolfgang Hinte übertrug diesen Begriff erstmals in die Soziale Arbeit.1

Die Methode im Überblick

  • Anleitung: selbständig erlernbar. Die wesentliche Anforderung an die Fachkraft besteht in der Bereitschaft, die eigenen Möglichkeiten zur Steuerung einer Situation zu verringern, sich zu »entmächtigen«.
  • Moderation: —
  • Setting: Einzelkontakt oder Gruppe
  • Dauer, Zeitaufwand: —
  • Anwendungsturnus: —
  • Material: —

Anwendungsbereiche und Ziele

»Das Gefühl, das viele Adressatinnen und Adressaten von klassischen Angeboten abhält, lässt sich folgendermaßen umschreiben: Sie fühlen sich auf fremdem Terrain und können sich nicht sicher sein, was sie erwartet und wer zu ihnen hält. Das Konzept der Sozialraumorientierten Sozialen Arbeit benutzt für diese Situation ein Bild aus dem Bereich des Sports und spricht von einem Auswärtsspiel, in dem sich Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit häufig wiederfinden. Aufgabe der Fachkräfte ist es daher, Settings zu schaffen, in denen aus dem Auswärtsspiel ein Heimspiel wird.«2

Kurzbeschreibung

Fußballmannschaften gewinnen doppelt so viele Spiele im eigenen Stadium wie auswärts. Heimspiele in der Sozialen Arbeit organisieren heißt, die Rahmenbedingungen für Hilfeprozesse so zu gestalten, dass sie in erster Linie zur Kultur, zu den Routinen und Netzwerken von Adressaten passen. Meist ist eher das Gegenteil der Fall: Adressaten haben ein Auswärtsspiel, während Profis – was die Rahmenbedingungen betrifft – oft Heimvorteile haben, weil sie die Orte bestimmen, die Regeln definieren, die gesetzlichen Grundlagen kennen, Insiderwissen und Entscheidungsmacht haben.
Adressaten Sozialer Arbeit sind dann am stärksten, wenn sie sich auf dem konkret betreffenden Gebiet auskennen, sich selbst als Experten sehen und auch als solche gesehen werden, wenn die stärkenden sozialen Beziehungen ihrer Lebenswelt zum Tragen kommen und wenn Regeln gelten, deren Gralshüter sie selbst sind. Spezialisten dafür, was in diesem Sinne ein Heimspiel ist, können nur Betroffene selbst sein. Nur sie können die Lotsen an dem Ort sein, an dem sie wissen »wie der Hase läuft«. Heimspiele sind damit oft Orte, an denen Profis genau das nicht wissen.
Der Ermächtigung von Adressaten durch »Heimspiele« muss die Bereitschaft der Profis entsprechen, auf Macht zu verzichten. Es wäre verkürzt, davon auszugehen, dass die Wohnung immer gleich Heimspielort ist. Die eigene Wohnung als Treffpunkt legt zwar eine Gastgeberrolle von Betroffenen nahe, bedeutet aber auch Rückzugsmöglichkeiten preiszugeben und viel von sich selbst zeigen zu müssen. Außerdem gibt es Nachbarn, und so kann ein Termin soziale Folgen haben: »Wer war denn bei denen? Das sind keine von hier. Vielleicht stimmt bei denen was nicht.« Man sollte also nicht zu schnell davon ausgehen, zu wissen, wo die Leute mit ihren Stärken »daheim« sind. (Anhaltspunkte, an welchen Orten die Verringerung der strukturellen Machtdifferenz am wahrscheinlichsten ist, lassen sich mit Hilfe von Drei-Schritt-Fragen gewinnen.3)

Heimspiele zu organisieren, ist keine reine Organisationsaufgabe für Fachkräfte, sondern auch eine gewaltige Anpassungsleistung. Dabei können folgende Aspekte wichtig sein:

  • Das Einnehmen einer »One-Down-Position« der Fachkräfte: Adressaten haben ein Recht, auf ihren Lebensstil, ihre Freunde, ihre Familie, Nachbarn usw., stolz zu sein. Fachkräfte begegnen Adressaten mit dem gleichen Respekt wie ihrem Chef und halten das auch in Situationen durch, die ihnen gegen den Strich gehen.
  • Eine gekonnte Inkompetenz der Fachkraft: Adressaten sind Lebensweltexperten. Sie wissen über ihren Alltag besser Bescheid als jeder andere. Gekonnte Inkompetenz versteht sich auf das Einklammern des eigenen Wissens, um das Wissen und das Können der Anderen zu provozieren, die der Fachkraft zeigen, vormachen, beibringen, wie etwas getan werden kann.
  • Andock-Strategien was Kleidung, Sprache, Verhaltensregeln, Art des Smalltalks usw. betrifft.
  • Hierarchiebestätigung in Familien oder Cliquen: existierende Unter- und Überordnungsverhältnisse werden akzeptiert und im positiven Sinne »in die Pflicht genommen«.
  • Stärkenblick: Fachkräfte erkennen in den Geschichten von Betroffenen das Bewundernswerte und leisten Erzählungen und Nacherzählungen
  • Betroffene als Gastgeber: Fachkräfte nehmen die Gastrolle und überlassen Adressaten die Gastgeberschaft.

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Heimspiele sind eine Frage …

  • des Ortes: Wo soll das Treffen stattfinden?
  • der Zeit: Wann soll das Treffen beginnen? Wann soll es enden? Wann werden Pausen von welcher Länge gemacht?
  • der personellen Zusammensetzung: Wer soll teilnehmen? Freunde, alle Familienmitglieder, Verwandte, bestimmte Professionelle (Pfarrer, Lehrerin etc.)
  • der Form des Beginns: Wie soll das Treffen beginnen? Gibt es familientypische Rituale, die ein Treffen zum Heimspiel machen? Tee oder Kaffee trinken, etwas essen …
  • der Sprache, in der gesprochen wird: Wie ist die Muttersprache der Adressaten? Benötigen die Profis einen Dolmetscher?der Regeln: Bei Billardspielen wird anders geredet als im klassischen Beratungsgespräch
  • des Inhalts: Wer bestimmt den Inhalt? Wer legt fest, wie lange worüber geredet wird?
  1. Wolfgang Hinte, Helga Treeß, Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe: theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik. Juventa, Weinheim/München, 2007, S. 89
  2. zit. nach Gaby Straßburger, Sozialraumorientierung interkulturell – Erfolgreiche Soziale Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft. In: Sozialraumorientierung und Interkulturalität in der Sozialen Arbeit. Tagungsdokumentation, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), WISO Diskurs, April 2013, S. 11f. https://library.fes.de/pdf-files/wiso/09838.pdf[Abruf 26.4.2023]
  3. vgl. Friedhelm Kron-Klees, Claudia – oder öffentliche Jugendhilfe als heilsamer Impuls. Ein systemisches Wahrnehmungs- und Handlungskonzept. Borgmann, Dortmund, 1994, S. 36. Zit. nach Frank Früchtel, Wolfgang Budde und Gudrun Cyprian: Sozialer Raum und Soziale Arbeit. Fieldbook: Methoden und Techniken. VS Verlag für Sozialwissenschaften, GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, 2007

HBR / SIR