Auf Augenhöhe entscheiden
An einer Entscheidung Beteiligte üben, sich nicht blind Anweisungen zu unterwerfen oder anderen ihre Meinung aufzudrängen, sondern an der bestmöglichen Lösung für ein Problem zusammenzuarbeiten.
Die Methode ermöglicht konstruktive und geregelte Entscheidungsprozesse, in die Klient*innen und Mitarbeiter*innen gleichermaßen einbezogen werden, wenn ein Problem oder eine Spannung vorliegt.
Die Methode im Überblick
- Anleitung: selbstständig erlernbar
- Moderation: in Gruppen ja
- Setting: Einzelkontakt, Gruppe
- Dauer, Zeitaufwand: eine Minute bis mehrere Stunden oder Tage, je nach Bedeutung der Entscheidung
- Anwendungsturnus: beliebig
- Material: Papier, Whiteboard
Anwendungsbereiche und Ziele
- in Wochen-Besprechungen einer therapeutischen Wohngemeinschaft, um mehr Partizipation der Bewohner*innen zu ermöglichen
- im Gespräch über problematisches Verhalten, um eine Vereinbarung zu erstellen, mit der die Klient*in auch wirklich einverstanden ist
- im Gespräch über Zielsetzungen, damit sowohl Mitarbeiter*innen als auch die Klient*innen ihre Bedenken konstruktiv einbringen können
- in Alltagssituationen, in denen die Beteiligten unterschiedlicher Meinung sind. Dabei wird, oft unbewusst, der anderen Seite genügend Platz eingeräumt, ihre Bedenken zu äußern, welche ernst genommen werden.
Kurzbeschreibung
Mit der Methode »Auf Augenhöhe« wird nicht gesagt oder gefordert, was zu tun ist. Stattdessen wird ein Problem oder eine Spannung benannt. Die Beteiligten machen einen Vorschlag und fragen sich zusammen, wie sie den Vorschlag am besten umsetzen können. Beide Seiten haben die Möglichkeit, Bedenken zu äußern. Bedenken werden von allen Beteiligten gemeinsam integriert.
Wenn Bedenken nicht integriert werden können, dann kann die Bedenkenträger*in den Vorschlag blockieren, einen Aufschub des Gespräches vorschlagen oder »zur Seite stehen«, das heißt, sie kann sich insoweit mit dem Vorschlag arrangieren, dass es für sie in Ordnung ist, wenn er durch andere umgesetzt wird. Es muss nicht immer die bestmögliche Lösung sein, sie sollte aber so gut sein, dass alle damit leben können.
Schritt-für-Schritt-Anleitung
Die Schritte beschreiben die Methode, wenn sie im Detail genutzt wird. Das ist nur bei großen Problemen, bei schweren interpersonellen Konflikten oder bei Vorschlägen von weitreichender Bedeutung nötig.
In den meisten Fällen reicht es, die Schritte im Hinterkopf zu behalten und sie eher als »Prinzipien« in die eigene Gesprächskultur zu übernehmen. Um zu lernen, die Schritte mehr oder weniger intuitiv beim Gegenüber abzufragen, ist es empfehlenswert, sie einige Male im Detail durchzuspielen. Das kann man testweise auch bei sehr kleinen Fragen machen.
Schritt 1 – Spannung benennen
Die Beteiligten nennen eine Spannung, zum Beispiel etwas, das nicht gut läuft, das sie stört, das nicht zielführend ist, das eine wünschenswerte Verbesserung wäre. Das kann ein Problem sein, das sie in ihrem eigenen Leben beobachten und verändern möchten (zum Beispiel »Ich verschlafe immer und komme zu spät zur Werkstatt.«) oder etwas Zwischenmenschliches (zum Beispiel »Mich regt es auf, dass F. nie ihren Teller nach dem Essen wegräumt«.). Die Beteiligten beschreiben die Spannung sachlich, ohne Urteile und ohne Vorwürfe. Dabei können sie ihre Bedürfnisse nennen, zum Beispiel: »Ich fühle mich wohl, wenn das Geschirr nach dem Essen aufgeräumt ist.“«
Das Nennen der Spannung führt der beteiligten Person und den anderen vor Augen, dass etwas gemacht werden muss, damit es ihr oder den anderen besser geht. Die Spannung wird nicht diskutiert, sondern als eigene Sichtweise der benennenden Person akzeptiert.
Schritt 2 – einen Vorschlag machen
Die Person, die die Spannung benannt hat, macht einen Vorschlag: Wie kann die Spannung aufgelöst werden? Wie könnte man das Problem lösen?
Wenn der Vorschlag ungenau oder unverständlich formuliert ist, wird er geklärt, sodass ihn alle verstehen. Dann wird der Vorschlag besprochen – ohne an dieser Stelle Einwände, Bedenken oder Zweifel einzubringen.
Schritt 3 – Einwände machen
In diesem Schritt können Einwände, Bedenken und Zweifel auf einem Blatt Papier oder einem Flipchart gesammelt werden. Ähnliche Einwände können gruppiert werden. Es ist wichtig, dass jede Person ihre Einwände zeitnah benennt. So können alle darauf vertrauen, dass niemand einen Einwand zurückhält und die anderen später damit überrascht.
Manchmal fallen den Beteiligten Einwände erst ein, nachdem der Vorschlag angenommen wurde. Das wäre dann eine neue Spannung, die benannt und für die in einem neuen Vorschlag nach Lösungen gesucht werden muss.
Schritt 4 – Einwände integrieren
Jetzt gehen die Beteiligten die Einwände Schritt für Schritt durch. Wie kann man jeden einzelnen Einwand in den Vorschlag integrieren? Wie kann man den Vorschlag besser machen? Wie kann man es so machen, dass alle mit dem Vorschlag leben können?
Manchmal können Einwände nicht zufriedenstellend eingearbeitet werden. Das ist in Ordnung. Sie bleiben dann einfach stehen und die Beteiligten besprechen am Ende, was sie mit ihnen machen.
Schritt 5 – Vorschlag annehmen oder ablehnen
Wenn es von Anfang an keine Einwände gibt, entfallen Schritt 3 und 4. Ein Vorschlag gilt immer als angenommen, wenn es keine Einwände mehr gibt.
Auch wenn alle Einwände für alle zufriedenstellend integriert werden konnten, gilt der Vorschlag als angenommen.
Schwieriger wird es, wenn Einwände offen bleiben und sie nicht integriert werden können. Dann hat die Person, die den Einwand eingebracht hat, drei Möglichkeiten:
1. Sie kann zur Seite stehen. Das bedeutet, sie ist zwar nicht einverstanden, es tut ihr aber nicht weh, wenn der Vorschlag durchgeht.
2. Sie kann um Aufschub bitten. Dann wird der Vorschlag später diskutiert. Bis dahin kann der Vorschlag testweise umgesetzt werden, oder er bleibt erst einmal auf Eis liegen.
3. Sie kann den Vorschlag blockieren. Dann muss aber ein wichtiger Grund vorliegen, zum Beispiel: Der Vorschlag widerspricht der Hausordnung, dem geltendem Recht, den übergeordneten Anordnungen (wie zum Beispiel Anordnungen der Geschäftsführung oder einer rechtlichen Betreuung), dem Hilfeplan et cetera.
Jeder angenommene, vertagte oder abgelehnte Vorschlag könnte auch in chronologischer Reihenfolge in ein Vorschlag-Buch geschrieben werden.
Weiterführende Links und Literatur
- Frederic Laloux: Reinventing Organizations visuell: Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen, München 2016
- Barbara Strauch & Annewiek Rejmer: Das Konsentprinzip. In: Soziokratie. Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen. Vahlen, München 2018