Methoden

Sozialraumorientiertes Arbeiten

Sozialraumorientiertes Arbeiten bedeutet, Klient*innen soziale Teilhabe und Inklusion zu ermöglichen, indem Ressourcen im Sozialraum erschlossen und mögliche Barrieren abgebaut werden.

Anwendungsbereiche und Ziele

Die Sozialraumorientierung ist ein übergreifendes Fachkonzept der Sozialen Arbeit.

Kurzbeschreibung

Fünf Prinzipien sozialraumorientierter Arbeit

Nach Hinte/Kreft (2005, S. 869f.)1 sind sozialraumorientierte Ansätze durch fünf »Prinzipien« gekennzeichnet:

1. Orientierung an den geäußerten Interessen der Wohnbevölkerung

Es geht nicht darum, was die Menschen nach den Vorstellungen bürokratischer Instanzen »brauchen«, sondern was sie vor dem Hintergrund ihrer Lebenslage »wollen«.

2. Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative

Interessen und Bedürfnisse der Wohnbevölkerung werden nicht im Sinne einer naiven Kundenorientierung befriedigt, sondern die Menschen werden ermutigt, sich aktiv zu beteiligen. »Arbeite nie härter als dein Klient.« (Wolfgang Hinte)

3. Nutzung der Ressourcen des sozialen Raums sowie der beteiligten Akteure

Wohnräume, Nachbarschaften, spezielle Fähigkeiten einzelner Bewohner oder lokaler Dienstleistungen werden gesucht, aufgebaut, vernetzt und für bestimmte Projekte nutzbar gemacht (…)

4. Zielgruppen und bereichsübergreifende Orientierung

Adressat der Arbeit ist der soziale Raum, nicht eine bestimmte dort lebende Zielgruppe, dies schließt zielgruppenspezifische Aktivitäten nicht aus, sie werden aber immer im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Aktivitäten im Quartier gesehen. Dabei werden die klassischen Grenzen Sozialer Arbeit überschritten: Wohnen, Beschäftigung, Kultur, Gesundheit, Bildung, Verkehr und viele andere Bereiche sind Arbeitsfelder (…).

5. Kooperation und Koordination

Die oft nur undurchschaubare Vielfalt insbesondere sozialer Dienste, aber auch zahlreicher anderer vor Ort ansässiger Institutionen wird koordiniert und aufeinander abgestimmt.

Warum arbeite ich sozialraumorientiert?

Das ICF-Modell erfasst neben den personbezogenen Faktoren auch die Umweltfaktoren. »Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Dasein entfalten.« (Definition DIMDI)2

Spezifisch für jede Person lassen sich aus der Umwelt Faktoren ableiten, mit der die Person ihre Problemlage verbessern kann oder die sie daran hindert, selbstbestimmt zu leben. Dann kann es Aufgabe der Fachkraft sein, Ressourcen zu eröffnen und Barrieren abzubauen. Zum Beispiel, wenn ein Klient angeleitet Gymnastik machen möchte, kann sich die Fachkraft fragen: Gibt es in der Nähe ein Angebot? Möchte der Klient ein besonderes Angebot oder gibt es die Möglichkeit, an einem Volkshochschulkurs teilzunehmen oder den Sportverein um die Ecke zu nutzen? Oder muss es ein Kurs spezifisch für Menschen mit Behinderung sein, der aber eventuell mit einem langen Fahrweg verbunden ist?

Der Gesetzgeber hat die Lebenswelt- und Sozialraumorientierung in verschiedenen Paragraphen des SGB IX implementiert: »Das Gesamtplanverfahren sieht vor, dass die Bedarfsermittlung neben anderen Kriterien lebensweltbezogen und sozialraumorientiert durchgeführt wird.« (§ 117 SGB IX)

Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe sollen dazu beitragen, dass Leistungsberechtigte eine »möglichst selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum“ führen können.« (§ 76 Absatz 1, § 113 Absatz 1 SGB IX)

Die Träger der Eingliederungshilfe müssen Fachkräfte beschäftigen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben »umfassende Kenntnisse über den regionalen Sozialraum und seine Möglichkeiten zur Durchführung von Leistungen der Eingliederungshilfe haben« (§ 97 SGB IX). Es ist Aufgabe der Fachkräfte, Leistungsberechtigte zu beraten, zu unterstützen und dabei »Hinweise auf Leistungsanbieter und andere Hilfemöglichkeiten« sowie »auf andere Beratungsangebote im Sozialraum« zu geben (§ 106 SGB IX).3

Wie kann ich sozialraumorientiert arbeiten?

Menschen haben soziale Netzwerke. Diese sind meist nicht auf das Wohnumfeld begrenzt. Um diese Ressourcen zu erschließen, können verschiedene Techniken zur Erfassung der Lebenswelt des Klienten genutzt werden, zum Beispiel Eco-Mapping, Subjektive Landkarte, Soziales Atom.

Techniken zur Erweiterung persönlicher Sozialräume wie Stadterkundung, Stadtführung oder die Nadelmethode dienen dazu, einerseits dem Klienten Ressourcen zugänglich zu machen oder sich mit einer Bewohnergruppe über das Wohnumfeld auszutauschen. Aber auch dazu, sich als Fachkraft, die häufig nicht im gleichen Stadtteil lebt, Erkenntnisse und Ressourcen aus dem Sozialraum, der Nachbarschaft, dem Stadtteil zu erschließen. Nicht nur für die aktuelle Unterstützung, sondern auch für künftige.

Inklusion ist, wenn alle dabei sein können. Die Öffnung in den Sozialraum, um die Ressourcen dort zu nutzen, und auch um sich einzubringen, nicht als Institution, sondern als Menschen mit Behinderungen und als Fachkräfte. Fragestellungen hierzu sind: Welche Angebote gibt es im Umfeld? Sind diese offen für Menschen mit Behinderungen? Möchte oder kann mein Klient dort teilnehmen? Was können wir tun, damit das Angebot barrierefrei wird? Was tun wir selbst, Fachkräfte und Klienten, um im Sozialraum sichtbar zu sein: Baumscheiben pflegen, Kontakt zu Nachbarn aufnehmen und pflegen und vieles andere mehr.

  1. Zit. nach: M. Galuske, Methoden der Sozialen Arbeit, Weinheim und Basel (2013), Seite 302
  2. https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icf/icfhtml2005/component-e.htm [Abruf 26.4.2022]
  3. v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel (Hg.): Sozialraum und Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe (Bethel zum BTHG), 25. Oktober 2018. docplayer.org/116535124-Bethel-zum-bthg-sozialraum-und-sozialraumorientierung-in-der-eingliederungshilfe.html [Abruf 24.3.2022]

Weiterführende Links und Literatur

HBR / SIR